Ingrid Strobl – Nachruf auf eine, die ihr Leben lang immer Glück im Unglück hatte.

von Ingrid Müller-Münch und Ingrid König

Ingrid Strobl, geb. am 6. April 1952 in Innsbruck, gest. am 25. Januar 2024 in Köln.

Ingrid Strobl

Es fiel ihr schon seit langem immer schwerer, zu InterviewpartnerInnen zu reisen. Sie war schnell erschöpft, musste die O-Töne abtippen lassen, weil ihre Finger ihr nicht mehr gehorchten. Ging zur Ergotherapeutin, die ihr half, ihren klammen Händen noch etwas Bewegung abzuringen. Die Wirbelsäule und der Arm schmerzten ständig. Selbst als sie den Tumor am Arm regelmäßig in der Onkologie der Uniklinik bestrahlen lassen musste, war nie die Rede von Krebs. Eine bösartige, unheilbare Krankheit passte nicht in das Leben von einer, die, wie sie sagte, in ihrem ganzen Leben immer „Glück im Unglück“ hatte. „Ich werde doch wieder gesund“, beschwor sie sich und versprach, dann als erstes ihre Freunde und Freundinnen zum Essen in einem schönen Restaurant einzuladen.

Daraus wurde dann leider nichts.

Ihr Veedel in Köln war Nippes. Ein Kölner Stadtteil, dem sie in drei Krimis ein Denkmal setzte. Und in denen die Protagonistin genau das tut, was Ingrid immer schon wollte: Sie kümmert sich um bettelnde Kinder, zerlumpte Junkies, obdachlose Prostituierte. Und zwar mit Witz und Chuzpe. Inmitten all dieser Fiktion ihr geliebtes Viertel, in dem sie sich mit ihrem Mann Gert in einem Altbau nach ihrem Geschmack schön eingerichtet hatte. Doch eines Tages stand das Haus zum Verkauf. Sie befürchtete, die Miete nach einer aufwendigen Sanierung nicht mehr zahlen zu können. Und so zogen sie an die laute Amsterdamer Straße. Die Miete dort war erschwinglich. Sie zu stemmen wurde trotzdem immer schwieriger. Ingrid konnte kaum noch arbeiten. Die anstehende Büroauflösung wurde von Monat zu Monat verschoben. Ihr Archiv musste gesichtet und reduziert werden. In immer kürzeren Episoden konnte sie sich nur noch dazu aufraffen. Ein Container voll unwiederbringlichem und einzigartigem Recherchematerial über Frauenwiderstand im Faschismus und Frauenschicksale im 21. Jahrhundert wurde zu Altpapier.

Krankenhausaufenthalte häuften sich. Onkologie und Orthopädie konnten nicht mehr wirklich helfen. Die Palliativstation im Mildred-Scheel-Haus wurde zur Zuflucht. Unter der Aufsicht von Frau Dr. Welling wurde Ingrid zwar weitgehend schmerzfrei. Nur lesen konnte sie nicht mehr, langweilte sich. Ihre Frage an BesucherInnen lautete immer öfter: „Was machst du denn den ganzen Tag? Erzähl doch mal!“ Die letzten Wochen ihres Lebens verbrachte sie im Marienhospiz.

Ingrid bezeichnete sich gerne als „Papakind“, erzählte viel aus ihrer Kindheit.

Wir waren arm, betonte sie immer. Aber sie und auch ihre acht Jahre jüngere Schwester Gerda konnten die höhere Schule besuchen. Die Mutter war stolz, eine Ausbildung als Verkäuferin gemacht zu haben. Von ihrem Vater gemalte Landschaftsbilder hingen in Ingrids Wohnküche. Wie wenig selbstverständlich das Verhältnis zwischen Müttern und Töchtern ist, das dokumentierte sie in Einzelporträts in dem 2002 erschienenen Band „Ich hätte sie gerne noch vieles gefragt“. Der Tod als Auslöser über die Kluft zwischen den Generationen nachzudenken. Ein Thema, das sie in ihrem 2010 veröffentlichten Buch „Respekt“ aufgreift. Respekt vor der Obrigkeit, der Gehorsam forderte vor jeglichem Vorgesetzten, galt der Nachkriegsgeneration als fragwürdiges gesellschaftliches Konstrukt, die Rede vom Herrn und Gebieter als überholt. Aber eine Gesellschaft ohne Respekt vor der Würde jedes Menschen wäre inhuman, Respekt vor einer besonderen Leistung ohne Neid ermöglicht gesellschaftlichen Fortschritt.

Die Knastzeit nach ihrer Verurteilung wegen eines Weckerkaufes ließ sie gesundheitlich schwer angeschlagen zurück. Der Wecker wurde bei einem Attentat der Revolutionären Zellen auf das Lufthansa-Hochhaus in Köln verwendet, bei dem es Sachschäden gab. Für sie, wie sie es später einordnete, auch ein Protest dagegen, dass die Lufthansa Sextouristen zur Ausbeutung von Frauen in Asien transportierte.

Wie sie die mehrjährige Knastzeit überstand, darüber hat sie 2020, 30 Jahre später, ein Buch geschrieben mit dem Titel: „Vermessene Zeit“. Darin heißt es: „Ich habe im Gefängnis viel über Realität gelernt. Die Realität der Frauen z.B., die meine Mitgefangenen waren … Ich habe gelernt, oder zumindest zu ahnen begonnen, was es bedeutet, wenn man nicht nur kein Selbstbewusstsein hat, sondern auch keine Selbstachtung. … Ich bin als Möchtegern-Revolutionärin in den Knast gegangen und als verhinderte Streetworkerin wieder herausgekommen. Verhindert, weil ich weder die Ausbildung noch die Eignung dafür hatte. Mein Weg, das Gelernte umzusetzen, war wieder einmal der des Schreibens. Was ich in der Praxis nicht konnte, habe ich versucht in Form von Büchern, Hörfunksendungen, Artikeln darzustellen, mit dem Ziel, Frauen vom Rand der Gesellschaft als die Menschen erkennbar zu machen, die sie sind.“

Ihre journalistische Laufbahn hatte sie in Wien begonnen, nach Köln kam sie als Mitarbeiterin der Zeitschrift Emma. Als freie Autorin des WDR für Fernsehen und Radio sorgte sie später dafür, dass die Benachteiligung von Frauen in immer neuen Facetten beleuchtet wurde. Ingrid war Feministin, in allem, was sie als Thema aufgriff. Ihre Recherchen über „Rhetorik im Dritten Reich“ – so der Titel ihrer Doktorarbeit – erweiterte sie zu einer jahrelangen Nachforschung über Frauen im Widerstand. Jüdischen Frauen, die nicht nur im Hintergrund sondern aktiv gegen Nazis kämpften, widmete sie Dokumentarfilme und Bücher, schätzte sich überglücklich, dass sie bereit waren, mit ihr zu sprechen. „Sag nie du gehst den letzten Weg“ (1989) und „Die Angst kam erst danach“ (1998), sind unschätzbare Dokumentationen ihrer Suche nach Überlebenden und Zeitzeuginnen, europaweit und in Israel. Sorgfältige Recherche und der Kontakt zu gesprächsbereiten Betroffenen, kluge Analyse und spannende Erzählweise, ausgefeilte Dramaturgie, perfekt vorbereitete O-Töne und Manuskripte – für Redaktionen eine Autorin, wie man sie sich zuverlässiger nicht wünschen kann.

Ihre Ausstrahlung ist schwer zu beschreiben. Viele, die sie trafen, zog sie in ihren Bann. Sie war leidenschaftlich, mitfühlend, zugewandt und vor allem interessiert. Selbst schwer traumatisierte Frauen öffneten sich ihr gegenüber, sprachen über das Erlebte, vertrauten ihr. Spürten wohl ihre innere Gelassenheit, erworben durch Yoga, Buddhismus, Meditation.

Als am 27. Februar Ingrids Asche auf der Grabstätte ihrer Eltern in Innsbruck beigesetzt wurde, erklangen wie von ihr gewünscht die Rolling Stones.

Am 25. Januar 2024 ist Ingrid Strobl in Köln gestorben.

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Nachruf von Ingrid Müller-Münch und Ingrid König.

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